laurareinkens

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Späti_Liebe

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Ich muss etwa 62 Meter von meiner Haustür bis zu meinem Späti laufen. 62 glorreiche Meter, die sich fast immer wie ein ganz kurzer Spaziergang anfühlen. Eine große Reklamewand lädt unterwegs zu staunend offenem Mund und gerunzelter Stirn ein. Wo nimmt Amazon dieses Bild eines für ihren Geschmack typischen Studenten her? Ponywelle von Justin Bieber, Skateboard und ein zu enger Pullover. Ich schaue wirklich jedes Mal hoch zu der jeweiligen Reklame und studiere sie auch beim 500. Anblick noch genau. Blinzle, stelle mir Fragen über Gehälter der jeweiligen Agentur-Angestellten, die dem Jungen die Haare komisch geföhnt und ihm ein Skateboard in die Hand gedrückt haben. Meistens rutscht mir dabei eine Flasche Sprudel – meiner sprachlichen Erziehung nach eine Limonade, die kaum gesüßt ist – halb aus dem Arm, abends sitzt ein kleines Bier fest in der Hand.

Auch an diesem nieselig-kalten Donnerstag ging ich vor der Heimkehr noch eben am Späti vorbei. Wieder wollte ich meinen Sprudel einsammeln und ein kleines Bierchen kaufen. Der Absacker war schnell gefunden, mit großen Augen ging ich hinüber zum Kühlschrank mit den diversen türkischen Wassersorten, Zuckerlimos und eben auch der von mir ganz besonders geschätzten Getränkesorte aus dem Hause Spreequell. Durch Zufall fiel mein Blick auf das Verfallsdatum. Zehn Tage drüber. Zehn Tage! Ich schaute mir die nächste Flasche dahinter an – zwei ganze Wochen. Ich räumte alle begutachteten Flaschen wieder rein und griff zur nicht so ganz gern getrunkenen, aber immerhin zweitliebsten Sorte. Ich erstarrte. Wir sprachen nicht mal mehr vom gleichen Monat. Flippste aus.

Ich gönnte dem Gemisch aus Wasser, Traubensaft, Holunder und wahrscheinlich einer Menge Bakterien, die inzwischen eine riesige Party feiern mussten, einen letzten abschätzigen Blick und drehte mich zum Chef an der Kasse um. Er schaute mich fragend an, weil er das große Rumräumen von Frau Kreuzberg offensichtlich nicht verstand. „Was suchst du?“ – „Eine Flasche, die in diesem Jahrhundert noch haltbar war“, antwortete ich halb scherzend, halb bestimmt. „Ja, du hast zu wenig davon gekauft in letzter Zeit. Ich kaufe die nur für dich.“ – „Nee, meinste ernst? Wieso trinkt das denn keiner? Ist doch das beste Alkoholfreie, das du hier im Laden hast.“ Er machte eine Geste, die verriet, dass er sich diesbezüglich offenbar nicht festlegen wollte. Versonnen strich er sich über seinen Bauch, auf dem alle Simpsons auf einer Achterbahn eindeutig richtig Spaß hatten. Mein Blick blieb kurz an seinem T-Shirt hängen, er schaute ebenfalls an sich nach unten und freute sich. Ich freute mich auch, hätte aber gerne mein Getränk gehabt.

Der Chef, in seinen guten Fünfzigern, groß gewachsen, unabhängig von den Simpsons recht jung geblieben, unterbrach unsere jeweiligen, stillen Gedanken und überraschte mich: „Kauf die doch, die sind doch noch gut.“ Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Auch sein Handlanger, der leider keine Sprache spricht, die ich verstehe, aber Deutsch oder Englisch ganz gut folgen kann, schaute verwundert auf. „Dir ist klar, dass du einen Euro mehr nimmst als der Supermarkt und das Traubenzeug dazu auch noch im Oktober abgelaufen ist.“ Ja, er nickte und verstand. „Dann nur das eine Bier für dich?“ Ja, nur das eine Bier. „Tschö, schönen Abend“ – „Jo, dir auch!“

Ich stapfte raus und schaute Amazon-Bieber mit Welle und glücklichem „Ick zahl nüschte für Prime“-Lächeln entgegen, zählte meine Schritte bis zur Haustür und fragte mich, wie die Leute irgendwann einmal ohne Spätis ausgekommen sind. Auch wenn die Schrippen nicht die besten sind, Lidl-Aufschnitt mit 200%-Aufschlag verkauft wird, steht da jemand im Großmarkt und denkt: „Der mit der Brille nehm ich noch den Sprudel mit.“ Das ist wahre Verbundenheit. „Kaufst du nicht sonst das Soft Pack?“ Ja, tue ich, vielen Dank. „Willst du zwei Schrippen mitnehmen? Die sind noch heiß!“ Ja, will ich, aber woher wusste er das, von dem mir nicht klar war, dass ich es genau jetzt brauche? Wir jammern über Fußball, wir lachen über die Teenager-Kiffer im Park. Vollidioten.

Das kann Bieber-Amazon nicht. Das können nur Leute aus dem Kiez, in deren Geschäft man morgens und nachts fällt, die einen seit mehr Jahren begleiten als eine Hand Finger hat. Und das alles tun sie, ohne wirklich Teil des eigenen Lebens zu sein. Das muss man erst einmal schaffen. Ich liebe meinen Späti.

Written by laurareinkens

November 28, 2013 at 8:31 pm