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Ein vielköpfiges Kompliment – So lasset sie doch feiern!

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Heute habe ich einen neuen Begriff gelernt: „Anjas und Tanjas“. Mir wurde verkauft, so würden junge Frauen genannt, die zu einem Fußballspiel oder einer Übertragung mit „Eventcharakter“ gehen. Und scheinbar dürfen sie das nicht, weil es Leute gibt, die sich für bessere Fans halten.

Wir lassen den ganzen Bereich der dringendst zu erwähnenden sexistischen Kackscheiße jetzt mal außen vor und behandeln das Thema so, als wären Anja und Tanja zwei Personen und kein Schlagwort. Es gibt also Leute, die sich zu Turnieren oder wie jüngst zum Champions-League-Finale aufmachen, ein bisschen rot-weiß oder schwarz-gelb anmalen und den Abend lustig gestimmt mit vielen anderen verbringen wollen. Dabei werden sie ein paar Biere trinken, rumgrölen, singen und im Bestfall am Ende jubeln. Schock, schwere Not! Oder sie leben in einer Stadt, deren Verein nach 15 Jahren Erstilga-Abstinenz den Weg in die 1. Bundesliga gemeistert hat, hängen ein Fähnchen raus und gehen mal ins Stadion. Um Himmels Willen!

Warum sollte es mich berühren? Warum sollte ich mich derart echauffieren, dass ich einen langen Blogartikel unter Anderem dazu verfasse? Wenn es zum ersten rein deutschen Finale der Champions League in Berlin eine Fanmeile gibt, sollen sie doch. Dann kann man sich sicher sein, dass Anja und Tanja ein wenig viel für ihr Bier zahlen müssen, aber die große Sause bekommen sie bestimmt geboten. Für mich ist das nichts, aber das muss es ja auch nicht. Jeder darf den Fußball auf die Art und so oft erleben, wie er oder sie es für sich für richtig hält.

Abstrakter gefragt: Warum sollte ich einen anderen Menschen im Erleben eines Sports beurteilen? Diese als „Eventies“ im oben verlinkten Artikel verunglimpften Fans haben Spaß an einem großen Spiel, an einer großen Saison eines Vereins. Sie gehen nicht den ganzen Weg mit, nein, aber sie haben sich ihr Ticket gekauft, stehen oder sitzen neben einem im Stadion und kauen auch an den Nägeln, wenn Bellinghausen die Sache mit den Flanken erneut probiert. Sie jubeln mit mir, falls es denn mal klappt. Sie finden das ganze Unterfangen in dem Moment genauso spannend wie ich. Will ich über mögliche Wechsel sprechen, drehe ich mich eben nach links zu meiner Begleitung und tausche mich da aus.

Mir mangelt es an diesem absoluten Überlegenheitsgefühl, andere abstempeln zu dürfen. Ich verfolge einen Verein auf diese Art, ein anderer nimmt es eben nicht so wichtig und kommt und geht. Erneut: Was daran sollte mich stören? Dass es in einem guten Jahr mehr Fans gibt? Dass der Verein mehr im Fokus steht? Das sind für den Verein – und wir sprechen hier doch immer noch über den Sport? – positive Faktoren! Ein vielköpfiges Kompliment, wenn man so will.

Diese Fans bringen dem Verein übrigens Geld. Sehr viel sogar. Das würde ich nicht ansprechen, wenn es nicht so viele „ganz richtige Fans“ gäbe, die beispielsweise mit ihren Pyro-Aktionen Monat für Monat ihrem so geliebten Verein zur bloßen Selbstdarstellung auf der Tasche liegen. Da ist mir der mitklatschende Herr hinten links lieber, bin ich ehrlich. Sie nehmen sich nichts heraus, nur die Tatsache, dass sie zu Oberligazeiten lieber am Rhein spazieren waren. Sollten sie mit dem Abstieg verschwinden, haben sie trotzdem ganz viele wahnsinnig tolle Momente in der ausverkauften Esprit Arena erlebt. Vielleicht sieht man sich ja wieder, wenn die Fortuna wieder oben ist. In der Mehrheit waren sie sowieso nie.

Was auch immer Anja und Tanja dazu bewegt, Samstagabend auf die Fanmeile zu gehen – wenn es ihnen zum Grund reicht, habe ich nichts in Frage zu stellen. Es gibt keinen „richtigen“ Fan. Es gibt viele Interessierte, die ihr Herz für immer oder nur für ein Jahr verschenken. Wieso sollte ich darüber urteilen? Warum sollten sie mich in meinen Kreisen stören? Wenn die Nachfrage besteht, eine Fanmeile zu öffnen, hat sich diese ganze Diskussion doch schon gegessen. Anja und Tanja wollen eine Fußballparty, wieso macht das das Leben der sich selbst als richtig einordnenden Fans so schwer? Der Fußball soll frei sein, frei bleiben.

Ich weiß, dass ich schon dreimal mehr Spiele gesehen habe als viele andere. Ich kenne mich mit den Regeln ziemlich gut aus und informiere mich täglich fünfmal, ob es Neuigkeiten gibt. Mein Geld verdiene ich sogar bei einer internationalen Fußball-Plattform. Ich bin drin – im Sport. Ich trage allerdings kein Polohemd mit Ultras-Symbolen, bin nicht jedes Wochenende im Stadion, weil ich in Berlin wohne, gehöre keiner Gruppierung an und tue mich manchmal schon mit der einen oder anderen Fankneipe schwer.

Was bin ich dann?

Written by laurareinkens

Mai 28, 2013 at 5:27 pm